Expertentipp: Nachhaltigkeit als Verpflichtung und Chance bei der Existenzgründung

Seit rund 15 Jahren engagiert sich Dr. Jürgen Erlewein bei den Senioren der Wirtschaft in der Region Stuttgart. Er greift hier gerne auf die gesammelten Erfahrungen als Wissenschaftler, Entwickler, Fertigungsleiter und der strategischen weltweiten Standortkoordination bei einem großen Stuttgarter Autozulieferer zurück. Insbesondere bei der letzten Station wurde ihm die Bedeutung von Ressourcen, weltweiter Verflechtungen und den sich daraus ergebenden Auswirkungen bewusst.

Er leitet den SdW-internen Arbeitskreis zum Thema Nachhaltigkeit und es ist ihm ein großes Anliegen, Nachhaltigkeit bei den Wirtschaftssenioren zu verankern und voranzutreiben.

Herr Erlewein, welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei den Senioren der Wirtschaft?

Für uns gibt es zahlreiche Gründe, uns mit der Nachhaltigkeit zu beschäftigen: Seit einigen Jahren findet Nachhaltigkeit durch die öffentliche Diskussion über den Klimawandel starke Beachtung. Gründungen, deren Geschäftszweck durch die Nachhaltigkeit geprägt ist, werden gerne als Leuchtturmprojekte für eine bessere Welt angeführt. Durch gesetzliche Vorgaben bei den Lieferketten sind immer mehr Firmen verpflichtet eine Ökobilanz vorzuzeigen. Allein dadurch müssen wir uns mit Nachhaltigkeit beschäftigen.

Außerdem wollen wir bei Gründern und Gründerinnen sowie beratenen Unternehmern die Nachhaltigkeit in Geschäftsprozesse verankern.

Wie macht sich Nachhaltigkeit in den Beratungen für Existenzgründende und Start-ups bemerkbar?

Es gibt heute Existenzgründende und Start-ups, die Nachhaltigkeit schon im Gedankengut mitbringen. Hier braucht es nur die aus bisherigen Beratungen bekannte kritische Überprüfung der Geschäftsidee. Bei den Anderen müssen wir erst einmal den Nachhaltigkeitsgedanken wecken und in den Geschäftszweck einführen. Dabei sollten die Gründer aber nicht überfordert werden. Es ist uns jedoch sehr wichtig, dass nachhaltige Elemente im Geschäftsplan verankert werden, zum Beispiel bei der Beachtung von Energieeffizienz im Büro, der Heizung oder dem Einsatz von erneuerbaren Energien.

Nicht jede Gründung kann die Herstellung von grüner Energie zum Ziel haben. Wie sind Ihre Erfahrungen, haben Existenzgründende das Thema Nachhaltigkeit bei Ihren „klassischen“ Gründungsvorhaben auf dem Radar?

Es wäre zu einfach sich nur auf Grüne Energie zu beschränken, wenn das Ziel eine lebenswerte Welt ist. Daher benötigt die Mehrzahl der Gründungsinteressierten Unterstützung, wie man vorgehen kann. Denn Nachhaltigkeit erfordert neben der rein ökonomischen Komponente „wie stelle ich mein Geschäft auf“, auch die Beachtung von ökologischen Aspekten, „wie handle ich“ und sozialen „wie gehe ich mit meiner Umgebung um.“

Wie kann man sich als Existenzgründender oder Start-up von Beginn an nachhaltig aufstellen?

Am leichtesten tun sich von der Nachhaltigkeitsidee geleitete Existenzgründende oder Start-up. Diese brauchen dazu nur einen Sparringspartner. Andere können sich eingeschränkt auch schon mit ein paar wenigen Themen nachhaltiger aufstellen; zum Beispiel durch das papierlose Büro oder der Nutzung von Digitalisierung. Hilfe bei der Umsetzung gibt es durch Leitlinien und Fragebögen, zum Beispiel bei der Gründerplattform des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und in angepasster Form auch bei den Senioren der Wirtschaft.

Können Sie einige konkrete Beispiele nennen, was bei einer nachhaltigen Unternehmensgründung berücksichtigt werden kann?

Zum Beispiel der Umgang mit Mitarbeitenden ganz entscheidend. Diese sind Multiplikatoren. Auch im Marketing ist Nachhaltigkeit ein wirklich erzieherisches Element. Natürlich gehört neben Energieeffizienz auch ein Mobilitätskonzept zur „Grundausstattung“. Wann immer möglich sollten regionale Lieferanten, die demselben Grundsatz folgen, zum Zuge kommen. Auch bei der Auswahl der Geschäftsbank sollte dies eine Rolle spielen und bei vielem, vielem mehr.

Welche Auswirkungen hat eine nachhaltige Unternehmensgründung u. -führung, mit Blick auf die Finanzen? Ist eine nachhaltige Existenzgründung automatisch teurer?

Sind mit „Finanzen“ der Gewinn gemeint, dann gibt es per se keine Auswirkung; längerfristig erwarte ich sogar eine höhere Rendite. Wenn „Finanzen“ die Kreditaufnahme meint, dann werden zukünftig auch kleinere Unternehmen Kredite leichter erhalten, wenn sie nachweislich nachhaltig aufgestellt sind. Heute werden schon bei etablierten großen Unternehmen strenge Maßstäbe bei der Kreditvergabe angelegt und teilweise erhalten nachhaltig aufgestellte Unternehmen bessere Konditionen.

Gibt es auch bei der Übernahme eines bestehenden Unternehmens die Chance, sich nachhaltig aufzustellen? Wie sollte der Übernehmende dies angehen?

Gerade die Übernahme eines Unternehmens bietet die einmalige Chance, nachhaltige Grundsätze einzuführen. Dabei sind die allbekannten Schwierigkeiten bei Veränderung zu beachten! Erfolgreich ist nur, wer die alles entscheidende Einbindung der Mitarbeiter meistert. Auch gilt weiterhin die Regel, dass der neue Chef, die neue Chefin mit gutem Beispiel vorausgehen muss.

Welchen Mehrwert haben Existenzgründende, Start-ups und etablierte Unternehmen davon, wenn sie nachhaltig wirtschaften?

Außer dem gesellschaftlichen Nutzen glaube ich, dass der Mehrwert zum Beispiel in den geänderten Abläufen, der größeren Reputation im Markt und vor allen Dingen im Vorsprung vor den nicht nachhaltig wirtschaftenden Wettbewerbern liegt. Diese werden, meiner Einschätzung nach, von Regierungen, Geschäftspartnern und Kunden über kurz oder lang dazu gezwungen, unternehmerisch nachhaltig zu handeln. Und dann muss alles schnell gehen, mit allen den schon genannten Schwierigkeiten.

Welches ist für potenzielle Existenzgründende der richtige Zeitpunkt, um sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen?

Da gibt es eine ganz klare Empfehlung: Schon mit den ersten Ideen bei der Gründung anfangen. Wir empfehlen zum Beispiel das Thema gleich im Business Model Canvas zu integrieren. Wir haben dazu Checklisten entwickelt, die dabei unterstützen.

Was empfehlen Sie Existenzgründenden, die sich sehr frühzeitig mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Gründung beschäftigen wollen?

Sie sollten die Hinweise auf der Gründerplattform vom BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) beachten und schon früh die Beratung suchen. In den Anfängen ist es immer schwierig, den Überblick zu behalten!

Welchen Ausblick gibt es bei den Senioren der Wirtschaft zum Thema Nachhaltigkeit?

Die Themen um die Nachhaltigkeit werden zukünftig stärker von den ESG-Kriterien (Environment/ Corporate Social Responsibility/ Corporate Governance) und Rahmenbedingungen für die Berücksichtigung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen innerhalb von Unternehmensführungen getrieben. Ein Beispiel ist das für größere Unternehmen schon bald wirkende Lieferkettengesetz. Wir werden deshalb viel dazulernen müssen, um unsere Beratungen auch weiterhin erfolgreich zu gestalten.