Diplom-Ökonom Rainer Dieringer war über 35 Jahre im Marketing und Vertrieb eines internationalen Herstellers von technischen Gebrauchsgütern tätig und hat im Unternehmen die betriebliche Marktforschung verantwortet. Bei den Senioren der Wirtschaft ist er seit 2016 aktiv und leitet die Regionalgruppe Stuttgart.

Herr Dieringer, was genau versteht man unter Marktforschung und welche Ziele können Gründer/-innen hiermit verfolgen?

Die Marktforschung ist ein Prozess, um fundierte Geschäftsentscheidungen zu treffen und erfolgreich am Markt zu agieren. Hierbei handelt es sich um die systematische Sammlung, Analyse und Interpretation von Informationen über Märkte, Kunden, Wettbewerber und die gesamte Geschäftsumgebung. Die Ziele der Marktforschung für Gründer lassen sich in mehrere Punkte unterteilen:

  • Kundenbedürfnisse verstehen
  • Wettbewerb analysieren
  • Marktpotenzial bewerten
  • Risiken minimieren
  • Marketingstrategien entwickeln
  • Entscheidungsfindung unterstützen


Die Marktforschung ist für Gründer/-innen ein unverzichtbares Instrument, um den Markterfolg zu maximieren, Risiken zu minimieren und eine solide Grundlage für geschäftliche Entscheidungen zu schaffen. Durch das Verständnis des Marktes und der Zielgruppe können Gründer ihre Ressourcen effizient einsetzen und langfristig erfolgreiche Unternehmen aufbauen.

Bei welchen Formen der Existenzgründung und Vorhaben ist es sinnvoll Marktforschung zu betreiben?

Marktforschung ist bei Neugründungen, Start-ups, Produkt- oder Dienstleistungsinnovationen, regionalen Expansionen, Branchenwechsel, Online-Geschäftsmodellen und Franchise-Unternehmertum von entscheidender Bedeutung.

Welchen konkreten Informationen und Nutzen kann man als Existenzgründender aus einer Marktforschung möglicherweise ziehen?

Existenzgründer/innen können durch Marktforschung konkrete Informationen gewinnen, die entscheidend für ihren Erfolg sind. Dazu gehören:

  • Kundenbedürfnisse und Präferenzen: Durch Marktforschung können Gründer/-innen die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe besser verstehen und ihre Produkte oder Dienstleistungen darauf ausrichten.
  • Wettbewerbsanalyse: Gründende erhalten Einblicke in die Konkurrenzlandschaft, identifizieren Wettbewerbsvorteile und können ihre Positionierung strategisch gestalten.
  • Marktpotenzial: Die Abschätzung des Marktpotenzials hilft, den potenziellen Erfolg des Unternehmens einzuschätzen und realistische Umsatzziele zu setzen.
  • Risikominimierung: Eine gründliche Marktforschung ermöglicht es Gründern und Gründerinnen Gründern/-innen, mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen.
  • Marketingstrategien: Die gewonnenen Erkenntnisse dienen als Grundlage für die Entwicklung effektiver Marketingstrategien, um gezielt Kunden anzusprechen und erfolgreich am Markt zu agieren.
  • Entscheidungsfindung: Marktforschung bietet eine datenbasierte Grundlage für fundierte Entscheidungen in Bereichen wie Produktentwicklung, Preisgestaltung und Vertriebskanäle.

Wann ist der „richtige“ Zeitpunkt, um eine Marktforschung durchzuführen? Wie viel Vorbereitungszeit sollte man hierfür einplanen?

Der „richtige“ Zeitpunkt für die Durchführung von Marktforschung bei Existenzgründungen ist im Vorfeld, bevor entscheidende Geschäfts-entscheidungen getroffen werden. Dies umfasst die Phase der Geschäftsideenentwicklung, bevor das Produkt oder die Dienstleistung auf den Markt gebracht wird. Die Vorbereitungszeit hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Komplexität des Marktes, der Art des Geschäfts und der verfügbaren Ressourcen. In der Regel sollte ausreichend Zeit eingeplant werden, um eine gründliche Analyse durchzuführen, wobei mehrere Wochen bis Monate je nach Umfang der Marktforschung erforderlich sein können. Ein frühzeitiger Beginn ermöglicht eine fundierte Entscheidungsfindung und eine bessere Ausrichtung des Unternehmens auf die Bedürfnisse des Marktes.

Marktforschung zu betreiben, ist das nicht sehr aufwändig, zeit- und kostenintensiv? Welche Tipps haben Sie für Existenzgründer/-innen?

Die Durchführung von Marktforschung kann zwar aufwändig und kostenintensiv erscheinen, jedoch können Existenzgründende diesen Prozess effizient gestalten, wenn Sie folgende Tipps berücksichtigen:

  • Tipp 1, zielgerichtetes Planen: Definieren Sie klare Ziele und Fragestellungen für die Marktforschung, um den Fokus zu bewahren und Ressourcen effizient einzusetzen.
  • Tipp 2, nutzen vorhandener Daten: Nutzen Sie bereits vorhandene Datenquellen, wie öffentlich verfügbare Statistiken oder branchenspezifische Berichte.
  • Tipp 3, nutzen von Online-Ressourcen: Machen Sie sich kostenlose oder kostengünstige Online-Tools und Plattformen (z.B. SurveyMonkey für die Erstellung von Umfragen und zum Sammeln von Feedback oder Google Analytics, zur Analyse von Website-Traffic und demografischen Daten der Besucher) zunutze, um Umfragen, Analysen und Wettbewerbsrecherchen.
  • Tipp 4, schrittweises Vorgehen: Teilen Sie die Marktforschung in kleinere Schritte auf, um die Komplexität zu reduzieren und den Zeitaufwand besser zu managen.
  • Tipp 5, selbst durchführen vs. externe Dienstleister: In einigen Fällen macht es Sinn, dass Sie als Gründer/-in selbst erste Recherchen durchführen, bevor Sie externe Dienstleister für spezifische, tiefgreifendere Analysen hinzuziehen.

Welche Heran- u. Vorgehensweise empfehlen Sie angehenden Unternehmerinnen und Unternehmern, wenn diese Marktforschung für Ihre Produkte u. Dienstleistungen betreiben möchten?

Für angehende Unternehmer/-innen empfiehlt sich folgende Herangehensweise:

  • Klare Zielsetzungen: Definieren Sie klare Ziel für die Marktforschung, um den Fokus zu behalten und gezielt relevante Informationen zu sammeln.
  • Zielgruppenidentifikation: Bestimmen Sie genau, wer Ihre Zielgruppe ist, und konzentrieren Sie sich auf die Erfassung von Daten, die für diese Gruppe relevant sind.
  • Sekundäre Datenquellen nutzen: Starten Sie mit vorhandenen Datenquellen, wie Branchenberichten, Statistiken und Studien, um eine Grundlage für Ihre Forschung zu schaffen.
  • Primäre Marktforschung: Ergänzen Sie sekundäre Daten durch primäre Marktforschung; dazu gehören Umfragen, Interviews oder Fokusgruppen, um spezifische Einblicke und Feedback zu erhalten.
  • Budgetierung: Setzen Sie ein realistisches Budget für die Marktforschung fest, um sicherzustellen, dass Ressourcen effizient genutzt werden.
  • Agile Anpassungen: Bleiben Sie flexibel und passen Sie Ihre Forschungsstrategie an, wenn neue Erkenntnisse auftreten oder sich die Marktsituation ändert.
  • Kundenfeedback einbeziehen: Binden Sie Kundenrückmeldungen aktiv in Ihre Marktforschung ein, sei es durch Testphasen, Prototypen oder direkte Interaktion mit potenziellen Nutzern.

Inwiefern ist Marktforschung auch für existierende Unternehmen mit einem etablierten Produkt- und Dienstleistungsportfolio relevant?

Auch für existierende Unternehmen mit einem etablierten Produkt- und Dienstleistungsportfolio bleibt Marktforschung von Bedeutung. Sie dient dazu Kundenzufriedenheit zu steigern, Wettbewerbspositionen zu stärken, innovative Produkte zu entwickeln, effektives Marketing zu betreiben und sich an sich wandelnde Marktbedingungen anzupassen.

Gibt es finanzielle Fördermittel, die Gründer/-innen, Unternehmer/-innen in Anspruch nehmen können, um eine Marktforschung durchzuführen?

Es gibt verschiedene finanzielle Fördermittel für diesen Zweck. Diese Fördermittel werden von staatlichen Stellen, privaten Organisationen oder auch regionalen Wirtschaftsförderungen bereitgestellt. Oftmals werden sie im Rahmen von Existenzgründungs- oder Innovationsprogrammen (z.B. EXIST-Gründerstipendium oder KfW-Gründerkredit) angeboten. Zu den möglichen Fördermitteln zählen Zuschüsse, Darlehen oder Beratungsdienstleistungen.

Wie können die Wirtschaftssenioren Existenzgründungsinteressierte beim Thema Marktforschung unterstützen?

Angehende Gründer/-innen können bei ihrer Marktforschung von der langjährigen Erfahrung und den Fachkenntnissen der Wirtschaftssenioren profitieren. Dies kann durch Beratung bei der Auswahl geeigneter Marktforschungsmethoden, Analyse von Wettbewerbsumfeldern und Zielgruppen sowie Unterstützung bei der Interpretation von Marktdaten geschehen. Zudem können sie dabei helfen, kritische Fragen zu identifizieren, Potenziale aufzuzeigen und eine realistische Einschätzung der Marktsituation vermitteln. Durch diese Mentoring-Rolle tragen die Wirtschaftssenioren dazu bei, dass Existenzgründer/-innen besser informiert Entscheidungen treffen können.

Welche konkreten Erfahrungen haben Sie in Ihren Projekten bei den Wirtschaftssenioren bereits mit der Marktforschung gesammelt?

Bei der Beratung eines Startups, das ein völlig neuartiges Produkt entwickelt hat, habe ich eine Gruppendiskussion innerhalb der Zielgruppe durchgeführt. Zusammen mit den Auftraggebern haben wir hierfür einen detaillierten Gesprächsleitfaden erstellt. Anschließend haben wir fünf beliebige Personen aus der Zielgruppe zu dieser Gesprächsrunde eingeladen. Die Teilnehmer/-innen wussten nicht genau, worum es geht. Das Gespräch fand an einem neutralen Ort statt und wurde von mir geleitet.

Wir haben allgemein über das Thema gesprochen und abgefragt, wie die Teilnehmenden zu dem Thema stehen, was sie darüber wissen und wie sie zu ihren Informationen gekommen sind. Danach haben wir das neuartige Gerät, das vom Startup entwickelt wurde, gezeigt und rein optisch begutachten lassen. Im nächsten Schritt wurde die Innovation in Funktion gezeigt und detailliert erläutert. Fragen wurden beantwortet, Vor- und Nachteile des Produkts sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten besprochen.

Abschließend wurde die Akzeptanz, eine Abschätzung des voraussichtlichen Markterfolgs sowie denkbare Vertriebsstrategien und die erwartete Preispositionierung abgefragt. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren sehr ähnlich, somit konnten wir auf weitere Gesprächsrunden mit anderen Teilnehmern verzichten. Diese für uns wesentlichen Ergebnissen waren maßgebend für die Entwicklung des Vermarktungskonzeptes.
Die Gruppendiskussion dauerte knapp zwei Stunden, die Teilnehmenden haben begeistert mitgemacht und jeder erhielt als kleine Anerkennung 100 Euro.


Ein zweites, völlig anderes Marktforschungsprojekt habe ich bei der Wirtschaftsförderung einer Stadtverwaltung durchgeführt. Gewünscht war eine Umfrage bei den örtlichen Unternehmen. Mit den Befragungsergebnissen wollte die Wirtschaftsförderung ihre künftigen Angebote noch besser auf die Bedürfnisse der Gewerbetreibenden abstimmen; außerdem die Belange der Unternehmen mit den Themen der Stadtentwicklung enger verknüpfen.
Gemeinsam mit dem Klienten wurde ein Fragebogen entwickelt, der z.B. Angaben zum Unternehmen, zur künftigen Entwicklung und zum künftigen Flächenbedarf des jeweiligen Gewerbebetriebes enthielt.

Weitere Fragen bezogen sich auf die Beurteilung des Standorts, auch die Attraktivität der Aktivitäten der Wirtschaftsförderung wurden abgefragt.

Für diese Umfrage habe ich den Online-Fragebogen über das Umfragetool SurveyMonkey generiert. Der Versand des Umfragelinks erfolgte über die Wirtschaftsförderung, die Wirtschaftssenioren wurden als neutraler führender Verein für die Befragung und ich als Ansprechpartner genannt. Insgesamt haben über 80 % der kontaktierten Unternehmen an der fünf-minütigen Online-Befragung teilgenommen.



Bei Auswertung der Ergebnisse zeigte sich z.B. ein hoher Grundstücksflächenbedarf, denn viele der Unternehmen wollen weiter expandieren. Es konnte der gewünschte Flächenbedarf in Quadratmetern pro Stadtteil aufgezeigt werden. Dieser war Grundlage für eine Gewerbeflächenbedarfsplanung, die umgesetzt wurde. Die Studie hatte zudem laut Wirtschaftsförderung eine „katalysatorische Wirkung“, indem sie die Reaktionsgeschwindigkeit in der Stadtverwaltung deutlich erhöht hat.
Geplant ist jetzt eine Wiederholung der Umfrage durch die Senioren der Wirtschaft, wobei der Fachkräftebedarf im Vordergrund stehen soll.